2022-10-22, 18:10–19:00 (Europe/Berlin), Einstein-Saal
Welche Rolle spielen wirtschaftliche Akteure in Krisen und Konflikten und beim Friedenserhalt? Können sie zur Krisenprävention oder Konfliktbearbeitung beitragen oder fördern sie die Eskalation von Konfliktsituationen? Können Regierungen friedensfördernde Standards für die Wirtschaft durchsetzen?
Krisen, Konflikte und Kriege sind immer auch untrennbar mit Aktivitäten von Unternehmen verbunden.
Offensichtlich ist das bei Rüstungsunternehmen, wie sich gerade aktuell angesichts des völkerrechtswidrigen Krieges Russlands gegen die Ukraine zeigt: Ungefragt bieten sich solche Firmen öffentlich an, Waffen zu liefern; die Aktienkurse börsennotierter Rüstungskonzerne sind rasant angestiegen.
Aber es ist nicht allein die Rüstungsindustrie, die global zu Krisen und Konflikten beiträgt. So haben große Erdölkonzerne in Nigeria über Jahrzehnte die Umwelt und damit die Lebensgrundlagen der Menschen im Nigerdelta zerstört und sind auch nicht davor zurückgeschreckt, mit staatlichen Sicherheitskräften zu kooperieren, um Proteste der Bevölkerung zu unterdrücken. Bekannt sind auch die klassischen Konfliktmineralien, deren Ausbeutung beispielsweise im Osten der Demokratischen Republik Kongo einen signifikanten Beitrag zur Finanzierung der jahrzehntelangen Kriege leistet. Und nicht zuletzt fehlt gerade im Bereich der Dual Use-Technologie häufig ein verantwortungsvoller Umgang in Bezug auf Forschung, Entwicklung und Handel.
Dabei könnten Unternehmen einen wichtigen Beitrag zu Krisenprävention und Konfliktlösung leisten. Zentraler Aspekt dabei ist die verbindliche Einhaltung menschenrechtlicher Standards als Kernaufgabe ihrer Sorgfaltspflichten. Gerade die Gewährleistung aller Menschenrechte, der Freiheitsrechte, der Sozialrechte und der Kollektivrechte mit dem Recht auf Entwicklung sind unverzichtbar für Frieden, der mehr ist als nur eine Abwesenheit von Krieg. Jedoch versuchen die meisten Unternehmen seit langer Zeit, jegliche Verpflichtung auf menschenrechtliche Sorgfaltspflichten zu umgehen. Daher ist hier der Staat gefragt, Standards zu schaffen, damit alle Unternehmen endlich rechtlich verbindlich menschenrechtliche sowie umwelt- und klimabezogene Sorgfaltspflichten einhalten – und bei Verstößen auch Sanktionen zu verhängen, damit diese Regeln nicht zahnlos bleiben.
Dr. Mathias John, Jahrgang 1957, arbeitet seit 1980 ehrenamtlich bei Amnesty. Er ist Sprecher der Koordinationsgruppe Wirtschaft, Rüstung und Menschenrechte und war von 2015 bis 2021 im Vorstand von Amnesty International Deutschland zuständig für Länder- und Themenarbeit.
Einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist die Untersuchung von Auswirkungen von Rüstungstransfers einschließlich Dual Use-Exporten auf die Menschenrechte. Als Rüstungsexperte hat Mathias John an zahlreichen Untersuchungen und Berichten von Amnesty International mitgearbeitet und in Deutschland maßgeblich die erfolgreiche Kampagne für den internationalen Waffenhandelsvertrag begleitet.
Im Bereich menschenrechtliche Unternehmensverantwortung begleitet Mathias John die nationale und internationale Diskussion um verbindliche Regeln und menschenrechtliche Sorgfaltspflichten entlang der Wertschöpfungsketten intensiv seit Anfang der 90er Jahre. Schwerpunkt sind dabei Verantwortung von Wirtschaftsunternehmen für Menschenrechte, (Ressourcen)Konflikte und wirtschaftliche Aktivitäten sowie die aktuellen Kampagnen für wirksame Lieferkettengesetze auf nationaler und internationaler Ebene.